Welche Rolle spielt ein Kind bei der Frage nach nachehelichem Unterhalt (BGer 5A_568/2021)?

Nach einer Scheidung gibt es zwei mögliche Arten von Unterhalt. Einerseits den Kindsunterhalt, welcher sich in Bar- und Betreuungsunterhalt aufteilt und andererseits den nachehelichen Unterhalt für den finanziell schwächeren Ehepartner. Die Voraussetzung für die Zusprechung von Kindsunterhalt ist, dass ein Ehepartner einen grösseren Teil der Betreuung übernimmt. Davon losgelöst ist ein allfälliger nachehelicher Unterhalt für einen Ehepartner. Grundsätzlich ist die Voraussetzung für die Zusprechung von nachehelichem Unterhalt, dass die Ehe «lebensprägend» war. In solchen Fällen richtet sich der Unterhalt sodann an den während der Ehe gelebten Verhältnissen. Ist eine Ehe nicht lebensprägend ist der andere Ehegatte nur so zu stellen, wie wenn die Ehe nie geschlossen worden wäre, was meist keinen nachehelichen Unterhalt einschliesst.

Bis zum Jahre 2020 galt eine Ehe als lebensprägend, wenn sie über 10 Jahre dauerte. Seit der Änderung der Rechtsprechung wird von einer lebensprägenden Ehe gesprochen, wenn es sich um eine klassische Hausgattenehe handelt. Das heisst, dass der eine Ehegatte seine wirtschaftliche Selbständigkeit/seine Erwerbstätigkeit aufgegeben hat, um sich um den Haushalt oder die Kinderbetreuung zu kümmern. Kürzlich hat das Bundesgericht auch spezifiziert, dass die Geburt eines Kindes für sich noch keine Lebensprägung begründet. Ein Ehegatte muss also seine Erwerbstätigkeit aufgegeben/ stark eingeschränkt haben, um sich um das Kind zu kümmern. Wenn beide Ehegatten nach der Geburt der Kinder ihrem Beruf weiter nachgehen, wird nicht von einer lebensprägen Ehe gesprochen und folglich wird in solchen Fällen grundsätzlich auch kein nachehelicher Unterhalt zugesprochen.


Hierzu ein kurzes Beispiel aus einem kürzlich erscheinenen Bundesgerichtsentscheid:

In einem kürzlich erschienenen Urteil des Bundesgerichts hat eine Frau mit 41 Jahren geheiratet und mit 43 eine gemeinsame Tochter zur Welt gebracht. Sie hatte zu dieser Zeit bereits ein erfolgreiches Beratungsunternehmen aufgebaut und arbeitete auch nach der Geburt der Tochter weiter. Jedoch begab sie sich mit ihrer Arbeit immer mehr in die wirtschaftliche Abhängigkeit ihres Mannes. Als sich das Paar ein Jahr nach der Geburt der Tochter trennte, zog der Mann jegliche Mandate die er bei der Beratungsfirma seiner Frau hatte ab. In dieser Situation war es für die Frau fast unmöglich als alleinerziehende Mutter eines 1-jährigen Kindes ihr Unternehmen wieder aufzubauen. Im späteren Scheidungsverfahren wurde der Frau vor erster Instanz aus diesem Grund ein hoher nachehelicher Unterhalt zugesprochen. Der Mann hat dieses Urteil jedoch bis vor Bundesgericht angefochten.

Das Bundesgericht entschied, dass die Ehe nicht lebensprägend gewesen sei. Die Frau hätte ihre berufliche Tätigkeit zu keiner Zeit aufgegeben und ihr wäre es aus diesem Grund zuzumuten gewesen neue Kunden zu finden oder gar eine andere Stelle zu finden. Ausserdem wäre der Fall auch nicht anders zu beurteilen gewesen, wenn die Frau ihre berufliche Tätigkeit nach der Geburt der Tochter aufgegeben hätte, da die Trennung bereits ein Jahr nach der Geburt stattfand und 1 Jahr zu kurz sei, um von einer klassischen Hausgattenehe zu sprechen, auf welchen Fortbestand die Frau hätte vertrauen können.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich rein aus dem Umstand, dass ein Ehepaar Kinder hat, nicht geschlossen werden kann, dass diese Ehe auch lebensprägend ist. Folglich kann auch in Ehen mit Kindern kein oder ein weitaus geringerer nachehelicher Unterhalt bei einer Scheidung zugesprochen werden. Wenn sie Fragen haben beraten wir sie gerne persönlich.  

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Was muss ich als erstes machen, wenn ich mich scheiden lassen will in der Schweiz?